Es gibt unter unseren Mitgliedern noch einige, welche die Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges nach 1945 leidvoll erfahren haben. Nicht nur der Krieg hat in Europa mehr als fünf Jahre das Leben eines jeden dominiert, auch die Zeit danach war geprägt von wirtschaftlicher Depression und aufkommenden politischen sowie militärischen Feindseligkeiten.
Geigen- und Bogenmacher, die gesamte Zunft, mussten einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren ertragen, in dem es sehr schwer war, ihrem Handwerk nachzugehen und damit einen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Ausleben der eigenen künstlerischen Kreativität war in dieser Zeit für die meisten nur ein unerfüllbarer Traum.
Auch wenn nach Kriegsende zunächst kaum geschäftliche grenzüberschreitende Aktivitäten bestanden, lebten alte, kollegiale Freundschaften wieder auf.
So trafen sich im Oktober 1947 einige Experten in Paris, um die Möglichkeiten einer Stradivari-Ausstellung in Cremona zu erörtern. Zwar wurde dieses Projekt letztendlich nicht realisiert, aber die Saat war gelegt für etwas, was später die Entente werden sollte; eine internationale Gruppierung von Experten.
Während der Internationalen Ausstellung über zeitgenössischen Geigenbau 1949 in Den Haag schlug Max Möller jr. vor, eine internationale Gesellschaft zu gründen, welche sich der Struktur nach an den bereits bestehenden nationalen Berufsverbänden in Frankreich, Deutschland und der Schweiz sowie teilweise auch in Holland und Italien orientieren sollte. Daraufhin lud Charles Enel, Vize-Präsident des französischen Geigenbauverbandes, seine ausländischen Kollegen nach Paris zum alljährlichen Sainte-Cécile –Treffen ein, um das weitere Vorgehen zu erörtern.
Das Ergebnis des Pariser Treffens übertraf alle Erwartungen. Unter dem Vorsitz des Schweizers Eugène Tenucci, dem ältesten anwesenden Kollegen, wurde ein provisorisches Komitee gegründet, welches eine Detailplanung erarbeiten und Empfehlungen aussprechen sollte. Die Mitglieder waren: William Beare (Präsident, England), Andrea Bisiach (Italien), André Dugad (Kassenwart, Frankreich), Georges Dupuy (Generalsekretär, Frankreich), Charles Enel (Beisitzer, Frankreich), Emile Francais (Vizepräsident Frankreich), Fridolin Hamma (Deutschland), Otto Hjorth (Skandinavien), Max Möller jr. (Holland) und Henry Werro (Schweiz).
Nachdem ein guter Fortschritt gemacht worden war, schlugen Henry Werro und Pierre Vidoudez (Präsident und Vize-Präsident des Schweizer Geigenbauerverbandes) für August 1950 eine Generalversammlung in Genf vor. Es galt zu diskutieren, wie die Vorschläge des Komitees umgesetzt werden könnten. Unter dem Vorsitz von zunächst Emile Francais, später Charles Enel war auch dieses Treffen sehr erfolgreich. William Beare, der ursprünglich diesen Posten inne hatte, war aus persönlichen Gründen zurückgetreten.
Eine von den französischen Kollegen vorgeschlagene provisorische Verfassung wurde angeregt diskutiert. Man kam überein, dass neben den anwesenden Kollegen auch Kollegen, die nicht in Genf anwesend sein konnten, aber ihre Unterstützung zugesagt hatten, als Mitbegründer aufgeführt würden.
Am 25. / 26. November 1950 fand schließlich das Gründungstreffen unter dem Vorsitz von Emile Francais statt, auf welchem die Vereinssatzung festgelegt wurde: Die Entente war geboren!
Liste der Gründungsmitglieder:
Leo Aschauer, Mittenwald
Jean Bauer, Angers
Fritz Baumgartner, Basel
William Beare, London
Andrea Bisiach, Milan
André Chardon, Paris
Robert Coné, Lyon
André Dugad, Paris
Georges Dupuy, Paris
Hans Edler, Munich
Charles Enel, Paris
Celestino Farotto, Milan
Emile Français, Paris
Pierre Gaggini, Nice
Pierre Gerber, Lausanne
Fridolin Hamma, Stuttgart
Walter Hamma, Stuttgart
Albert Phillips Hill, London
Desmond Hill, London
Arne Hjorth, Copenhagen
Cyril Jacklin, London
Max Millant, Paris
Roger Millant, Paris
Daniel Moinel, Paris
Max Möller, Amsterdam
Giuseppe Ornati, Milan
Eugen Sprenger, Sigiswang
Eugen Tenucci, Zürich
Marcel Vatelot, Paris
Hendrik Vermeer, Basel
Pierre Vidoudez, Geneva
Henry Werro, Bern
Nach weiteren Überlegungen sowie juristischen Nachbesserungen wurden die Statuten schließlich endgültig bei einem Treffen in Mittenwald am 28.- 30. 7.1951 ratifiziert. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das provisorische Komitee durch ein satzungsgemäßes ersetzt, dem ein Delegierter aus jedem teilnehmenden Land angehört. Das neue Komitee, vergleichbar mit dem heutigen, nur sehr viel kleiner, benennt den Vorstand bestehend aus Präsidenten, Vize-Präsidenten und als unabhängige Beigeordnete den Generalsekretär sowie den Schatzmeister, beide ohne Stimmrecht. Man beschloss weiterhin, sich jedes Jahr zu treffen, 1952 in London und 1953 in Mailand.
Der Hauptzweck der Entente war und ist es nach wie vor, die Bande der kollegialen Freundschaft zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. Ziel ist es, den höchsten handwerklichen Standard zu halten, den fachlichen Austausch zu fördern, sowie die Ausbildungsmethoden zu verbessern. Nicht zuletzt auch, um sich gegen die Industrialisierung des Metiers abzugrenzen. Unser Handwerk soll der Allgemeinheit soweit wie möglich bekannt gemacht werden.
Im heißen Sommer 1953 in Mailand ging die Präsidentschaft von Emile Francais zu Desmond Hill über, den Posten des Sekretärs übernahm Max Möller von Georges Dupuy, welcher eine hervorragende Arbeit gemacht hatte, die Administration der Gründungsphase zu verwalten.
1954 traf man sich in Kopenhagen und 1955 in Amsterdam, wo schließlich Desmond Hill vorschlug, den Kongress nur alle zwei Jahre stattfinden zu lassen. Auf Amsterdam folgten sowohl 1957 als auch 1959 Paris. Andrea Bisiach übernahm 1957 Präsidentschaft. Dieses Amt behielt er bis zum Kongress 1961 in London inne. Es war wieder Desmond Hill, der vorschlug, das Amt des Präsidenten alle zwei Jahre neu zu besetzen. Zudem sollte der kommende Kongress immer in dessen Heimatland stattfinden. Dieser Vorschlag fand große Zustimmung, da er nicht nur die Organisation der Tagungen effizienter verteilte, sondern auch für einen regelmäßigen, frischen Wind in der Führungsetage der Entente sorgen würde.
Interessanterweise bestand die Mitgliedschaft während der fünfziger Jahre ausschließlich aus Europäern. In dieser Zeit waren die Schwierigkeiten, mit denen sich die Mitglieder auseinander zu setzen hatten, hauptsächlich die Infragestellung der etablierten Expertise, durch Leute wie Giovanni Iviglia und der Schweizer „Expertenkammer“. Hochkarätige italienische Instrumente wurden regelmäßig mittels pseudo-wissenschaftlicher Methoden als Fälschungen deklariert. Nicht nur zur Verwirrung der Eigentümer, sondern auch zur Verzweifelung der Experten.
Auch wenn einige führende Mitglieder als „Wahrer“ einer ausgefeilten Verschwörung galten, deren Ziel es alleine sei, die Musikerwelt zu betrügen, war es stets das höchste Ziel der Entente, nie falsche Expertise abzulegen.
In den frühen 1960 Jahren schmolz die sog „Schweizer Krise“ – als solche konnte sie zu der Zeit durchaus bezeichnet werden – großteils dahin. Die Kongresse in Amsterdam (1963), Stuttgart (1965), Angers (1967) und Kopenhagen (1969) waren in jeder Hinsicht sehr interessante Tagungen, mit einem guten, fachlichen Austausch und sehr netten sozialen Begegnungen. Zum Beispiel führt das Programm der Amsterdamer Tagung ein Komitee-Treffen am Sonntag den 30 Juni auf; die Abfahrt war erst am folgenden Freitag den 5 Juli vorgesehen. Montag und Dienstag gab es halbtägliche Arbeitstreffen und am Mittwoch fand ein Besuch des Musikinstrumentenmuseums in Den Haag statt. Der Außenstehende mag durchaus den Eindruck gewinnen, es handelte sich vordergründig um einen entspannten, gastronomisch geprägten Ausflug – großzügig ermöglicht durch die holländischen Kollegen, insbesondere Max Möller und Johann Stüber. Tatsächlich waren die Kongresse seit den sechziger Jahren auch immer geprägt von einer großen, herzlichen Gastfreundschaft.
Während der Tagung in Kopenhagen 1969 machte Etienne Vatelot den Vorschlag, in den Jahren, in denen kein Kongress stattfinden würde, Treffen zu organisieren, welche als sog. „Working Days“ bekannt wurden. Bei diesen Treffen sollten die Arbeiten einzelner Meister bzw. Schulen im Detail studiert werden. Die Idee war, dass jeder ein oder mehrere relevante Instrumente zum Studium und Vergleich mitbringen würde. Diese Treffen gestalteten sich für die Entente über Jahre hinweg zu einem großen Erfolg. Beim ersten Treffen 1970 in Paris war die Florentiner Schule das Thema. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass nicht alle mitgebrachten Instrumente dieser Schule zuzuordnen waren. Die „Working Days“ ähnelten den eigentlichen Tagungen mehr und mehr, nicht zuletzt auch vom organisatorischen Aufwand für die ausrichtenden Kollegen.
1971 fand der Kongress in Genf unter dem Vorsitz von Pierre Vidoudez statt. Die internationale Mitgliedschaft wuchs schnell heran. Die gesamte Tagung 1973 in Harrogate, England, mit William Beare als Präsident, fand bei strömenden Regen statt. 1975 war das erste Treffen in den USA unter William Moennig jr. in Ocean City. 1977 war die Reihe erneut an Max Moeller, mit einem fantastischen Bootstrip auf dem Ysselmeer, und begleitet von angeregten Diskussionen über verschiedene Restaurierungstechniken. Die siebziger Jahre endeten mit der Tagung 1979 in Mittenwald unter Walter Hamma.
Etienne Vatelot wählte Cannes 1981 als Tagungsort. Das herrliche Wetter und das berühmte Carlton Hotel mit seinem privaten Strand trug zum Gelingen bei. In Cannes machten wir auch erste Erfahrungen mit Simultanübersetzungen – zuvor wurden alle Texte von dem multi-lingual begabten Pierre Vidoudez übersetzt, welcher nicht unglücklich war, seine Stimme in Zukunft schonen zu können. Präsident Gerhardt Neubauer richtete 1983 den Kongress in Wien aus, rückblickend war sicher das mittelalterliche Banquet ein Highlight, bei dem alle Gäste in historischen Kostümen gekleidet waren. Etwas weniger ereignisreich, aber nicht weniger herzlich, ging es 1985 in Cremona unter Sesto Rocchi zu, gefolgt 1987 mit Andrew Hill als Präsident, mit einem interessanten und schönen Treffen in London.
Die Mitgliederzahlen der Entente stiegen weiterhin stetig an und Überlegungen kamen auf, die Aufnahmebedingungen zu verändern. 1985 wurde die Entente 35 Jahre alt, viele Gründungsmitglieder waren mittlerweile ausgetreten bzw. verstorben. Mit Roland Baumgartner, Charles Beare und Berend Möller fand sich ein Sub-Komitee zusammen, welches die Ziele der Entente neu reflektierte: Sollte beispielsweise die Mitgliederzahl beschränkt werden? Sollte ein Bewerber eingeladen werden oder soll er sich selber bewerben? Was können die Gründe einer Verweigerung der Aufnahme sein? Diese und viele weitere Fragen wurden diskutiert. Schließlich kam man zu dem Schluss, dass es nach wie vor die Hauptprämisse der Entente sei, die sozialen Kontakte zu pflegen und auszubauen, verbunden mit einem profunden fachlichen Austausch. Daraus bestätigte sich als Zugangsvoraussetzung eine wichtige Bedingung – welche immer mehr oder weniger bestanden hat – dass der Bewerber ausreichend fachliches Wissen mitbringt, welches er auch bereit ist, zu teilen. Die Diskussion dieses Komitees zeigte deutlich das Ressentiment gegenüber Mitgliedern, welche die Mitgliedschaft nur dazu nutzen, das Logo der Entente auf ihrem Briefkopf zu setzen.
Im Jahre 1989 brachte Präsident Hans Weisshaar den Kongress nach Washington D.C. In jeder Hinsicht ein erfrischendes Treffen, welches leider wenig später durch den tragischen Mord an Berend Möller im nach hinein überschattet wurde. In den neunziger Jahre fanden nicht weniger interessante Tagungen und „Working Days“ statt, ausgerichtet von den jeweiligen Präsidenten: Mads Hjorth (Kopenhagen, 1991), Roland Baumgartner (Basel, 1993), Serge Stam (Utrecht, 1995), Wolfgang Bünnagel (Köln, 1997) und Charles Beare (Dublin, 1999). In diesem Jahrzehnt organisierten auch die Bogenmacher innerhalb der Entente mehr und mehr ihre eigenen, bogenspezifischen Themen, welche auch von großem Interesse für diejenigen Kollegen waren, die sich hauptsächlich mit Instrumenten befassten. Zudem wurden auch sog „Assoziierte Mitglieder“ aufgenommen: Kollegen, welche sich entschieden haben, eher für Mitglieder der Entente zu arbeiten, als sich selbstständig zu machen. Weiterhin wurde auch die Idee diskutiert, den Mitgliederkreis um sog. „Honorary Members“ zu erweitern, Außenstehende, die sich in besonderer Weise um unser Metier verdient gemacht haben.
Das ist das, worauf wir im Jahr 2000 mit einigem Stolz zurück schauen können: Die Entente begeht ihr 50. Jubiläum – verbunden mit Dankbarkeit gegenüber den Gründern, welche in schwierigen Zeiten eine Vision hatten und diese erfolgreich realisiert haben. Unsere älteren Mitglieder schauen auch mit Nostalgie auf die Freundschaften zurück, welche sie in den frühen Jahren während der Tagungen geschlossen haben. Gleichzeitig können wir mit großem Optimismus in die Zukunft schauen, auf die Vermehrung des Wissens und der Qualität, welcher unsere Mitglieder sich verpflichtet fühlen.
Charles Beare
Ehemaliger Präsident